Was ist Psychoanalyse
Die Psychoanalyse als wissenschaftliche Methode und psychotherapeutisches Verfahren geht von der Erfahrung aus, dass das menschliche Erleben und Verhalten zu einem großen Teil von unbewussten oder abgewehrten, vergessenen, verdrängten Motiven geprägt ist, die zeitlebens wirksam bleiben und die wechselnde seelische Verfassung jedes einzelnen Menschen bestimmen. Die Art und Weise, sich selbst zu erleben und zu anderen Menschen in Beziehung zu setzen, geht auf die im Laufe der Kindheit erworbenen guten und sicheren, aber auch unsicheren und negativen sozialen Bindungs-Erfahrungen mit den frühen Liebesobjekten, den Eltern, Geschwistern und anderen zurück. Diese haben eine Persönlichkeit geformt, die auf ganz individuelle Weise das Leben zu gestalten und mit den Wechselfällen des Lebens umzugehen vermag. Neben den positiven Erfahrungen eines zufrieden stellenden Lebens, von Glück und gelingender Liebe, müssen jedoch die immer unvermeidlichen Konflikte, Ängste und Verletzlichkeiten in der eigenen Person wie in den zwischenmenschlichen Beziehungen im Kontext mit den großen Lebensthemen, Krankheit, Verlust und Tod sowie beunruhigender, teilweise überfordernder beruflicher und gesellschaftlicher Veränderungen bewältigt werden. Wenn diese immer vorhandenen Herausforderungen psychisch nicht mehr gemeistert werden können und Ängste, Zwänge, Depressionen, Burnout, Selbstwertdefizite sowie andere psychische und psychisch bedingte körperliche Beschwerden die betroffene Person zu beherrschen beginnen, ist eine psychotherapeutische Unterstützung zu empfehlen.
Ganz allgemein ist in den verschiedenen psychoanalytischen Behandlungsformen (Einzel, Gruppe, Familie) unter der gesetzlichen Vorgabe absoluter Schweigepflicht die Analytikerin, der Analytiker bemüht, eine vertrauensvolle, verlässliche und Hoffnung erzeugende Beziehung zwischen den Partnern des therapeutischen Prozesses herzustellen. Im Rahmen dieser Beziehung werden die leidvollen Konflikte nicht nur besprechbar, ohne moralisch bewertet zu werden, sondern können sich als lebendige und aktuelle Themen im „Hier-und-Jetzt“ der analytischen Stunden Ausdruck verschaffen, so dass sie bearbeitet und im Laufe der Zeit neue Formen der Konfliktbewältigung erprobt werden können.
Die „klassische“ psychoanalytische Therapie (Psychoanalyse) einer einzelnen Person geschieht in Form der hochfrequenten (ca. 3 mal wöchentlich stattfindenden), mehrjährigen Behandlung auf der Couch, wobei die aktuellen Konflikte gemeinsam mit den zugrundeliegenden unbewältigten Kindheitserfahrungen thematisiert werden. Diese Therapieform empfiehlt sich bei chronischen, das bisherige Leben prägenden, immer wiederkehrenden krankheitswertigen Konflikten. Das Ziel besteht neben der Linderung und Bewältigung der Beschwerden auch in einer vom Klienten angestrebten Veränderung der Persönlichkeit im Sinne einer Nachreifung.
Die psychoanalytische Psychotherapie oder psychoanalytisch orientierte Psychotherapie hingegen ist eine Variante des „klassischen“ Verfahrens. Sie wird niederfrequent im Sitzen durchgeführt (1 bis 2 mal wöchentlich, Dauer ca. 2 Jahre) und fokussiert auf aktuelle, enger umgrenzte Beschwerden des Erlebens und Verhaltens. Auch hier werden die bestehenden Probleme als Ergebnis der bisherigen Lebensgeschichte verstanden, doch steht deren Aufarbeitung nicht im Zentrum der therapeutischen Arbeit. Diese konzentriert sich mehr auf die derzeit akuten Problemfelder des innerpsychischen Erlebens und der sozialen Beziehungen. Das Ziel besteht neben der Verminderung der Beschwerden in der Stabilisierung der eigenen Person sowie Unterstützung, das eigene Leben mit mehr Autonomie gestalten zu können.
Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, beschränkte sein Werk nicht ausschließlich auf die klinisch-therapeutischen Aspekte seelischer Konflikte und Störungen. Er übertrug seine Erkenntnismethode unbewusster Dimensionen, Strukturen und Wirkungen der Vergangenheit auch auf die von Menschen entwickelten Kulturen, Institutionen, Religion und Schöpfungen der Kunst. Aus der Sicht Freuds und der modernen Psychoanalyse gibt es Zusammenhänge zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen der Geschichte gegenwärtiger Kultur und der Entwicklung seelischer Strukturen der Einzelnen. So beinhalten schon Freuds Arbeiten wichtige, zum Teil spekulative Beiträge zur Kultur- und Menschheitsgeschichte, Religion, Kunst und Literatur. Diese kulturtheoretischen Implikationen sind auch gegenwärtig ein lebendiger Teil der psychoanalytischen Diskussion und Weiterentwicklung. Unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen wie Ethnologie, Philosophie, Soziologie, Film- und Medienwissenschaften, aber auch politische Psychologie und die Theorie des Feminismus, etc. bedienen sich psychoanalytischer Ansätze zur Unterstützung ihrer eigenen Erkenntnisinteressen.